„Third Space in Hochschulen
Ein Raum für neue Aufgaben
Neue akademische Handlungsfelder und professionelle Rollen von Akademikern haben in vielen Hochschulen einen Raum hervorgebracht, der weder im Kernbereich von wissenschaftlicher oder künstlerischer Lehre und Forschung noch in der Administration oder in der Hochschulleitung angesiedelt ist. Dieser Raum wird – in Anlehnung an soziologische Theorien (Salden 2013) – als Third Space bezeichnet. Darüber hinaus wird die Bildung von Third Spaces international als Zeichen dafür gesehen, dass die klassische binäre Einteilung einer Hochschule in ihren akademischen und ihren administrativen Bereich an Tragfähigkeit verliert (Whitchurch 2012/Salden 2013).“
( aus wissenschaftsmanagement.de 1/2015 )
Als ich im letzten Jahr als Chronist einer Tagung zum Thema Third Space an der FH Muttenz eine Zusammenfassung des Tages entwickeln sollte, habe ich mich dem mir neuen Begriff genähert, indem ich ihn aus dem Hochschulbereich in die Schule „übersetzt“ habe. Als Science Fiction, denn mit einem schulischen agilen Third Space würde Schule einen riesigen Schritt in Richtung Zukunft und in Richtung zufriedene Lehrer/innen und damit auch Schüler/innen machen können - das wurde mir recht schnell klar.
Es war einmal einmal vor ziemlich vielen Jahren.
Ein Science Fiction, der schon morgen in Baden-Württemberg und auch anderswo stattfinden könnte, würden Gelder dafür in die Hand genommen.
Wilde agile schulische Fantasien von Otto Kraz
Es war einmal vor ziemlich vielen Jahren, es mögen sicher 40 sein, da war die Welt in und um die Schulen im Ländle noch ziemlich in Ordnung. Die Eltern hielten sich überwiegend aus dem Geschäft mit der Vermittlung von Wissen heraus. Wer als Schüler zu schlechte Noten schrieb, der wurde einfach nach unten weitergereicht und war eben selbst schuld. So gab es damals einen kontinuierlichen Schüler-Fluss (weniger -innen), die vom Gymnasium auf die Realschule und von der Realschule auf die Hauptschule wechselten und dieses Vorgehen war allgemein anerkannt. Die Lehrer unterrichteten, die Schulverwaltung verwaltete, der Schulleiter leitete und alle waren zufrieden. Auch das Ministerium, denn es gab ja der Klagen wenig.
Das ging solange gut, bis die Studie mit dem schiefen Turm auf die Schulen im Lande zeigte und meinte, sie würden ihren Job nicht optimal machen. Da wurden die Eltern hellhörig und nervös und das Ministerium wurde hellhörig und nervös und man fragte sich, was denn jetzt zu tun wäre. Da wurden auch die Schulen hellhörig und nervös. Das sind wir nicht gewöhnt, dass man uns so sehr auf die Finger schaut,“ beschwerten sich viele Kollegen. „In meinen Unterricht lass ich mir doch nicht hineinreden“ ereiferten sich andere. „Das hat schon vor 20 Jahren gut funktioniert. Warum soll das jetzt alles anders werden?“
Aber die Zeiten wollten einfach nicht stehenbleiben und die Eltern wollten sich nicht mehr so einfach zurückhalten und die Journalisten fragten, warum denn Schulen in Finnland besser abschneiden würden. Da tauchten plötzlich Wörter auf, mit denen speziell viele Gymnasiallehrer so gar nichts anfangen konnten. Sozialkompetenz. Teamarbeit. Eigenständigkeit. „Ich habe Mathematik an der Hochschule studiert und ich unterrichte Mathematik. Und zwar äußerst gut.“ sagten viele Mathematiklehrer. „Was habe ich denn bitteschön mit Erziehung zu tun. Ja bin ich denn jetzt auch noch ein Sozialarbeiter?“ Und Ähnliches kam natürlich auch von den Englisch-, Deutsch- und Lateinlehrern. „Dieses neumodische Zeug von Bildungsplan. Früher war das ein Lehrplan, bei dem man wusste, was zu machen ist. Dieses unentwegte Reformieren, das sitzen wir einfach aus.“
Aber die Zeiten wollten und wollten nicht stehenbleiben. Es gab immer mehr Studien, immer mehr neue Unterrichtsideen und man begann das Wort Schulentwicklung immer heftiger in die Schulen hineinzupressen. Was zur Folge hatte, dass es viele neue Aufgaben zu erledigen und damit viele neue Sitzungen und Konferenzen abzuhalten gab. Computer zogen in den Schulen ein und jemand musste sie installieren und warten. Die Schülerschaft wurde immer heterogener und das furchtbare Wort vom individualisiertem Unterricht drang in die Lehrerzimmer. Die Eltern wollten immer mehr mitreden und die Ganztagesschule drängte auf den Markt, weil zwei berufstätige Eltern inzwischen zur Normalität gehörten. „Ja was denn noch alles?“ riefen viele Lehrer an vielen Schulen in echter Verzweiflung. „Jetzt sollen wir noch die Eltern ersetzen, weil die nicht mehr richtig erziehen können. Und wir sollen einfach alles auch noch zusätzlich machen.“
Das ganze Zetern und Jammern an den Schulen half aber nichts. Denn auch die Schuldirektoren konnten sich nicht wehren. Auch ihnen wurden Aufgaben noch und noch auf‘s Auge gedrückt und je schneller die Welt sich außerhalb der Schule drehte, desto weniger hatten die Direktoren Zeit, sich um ihre eigentliche Aufgabe zu kümmern - Schule pädagogisch zu leiten. Auch die Schuldirektoren beschwerten sich immer häufiger und es sprach sich im Ländle herum, dass Schuldirektor kein wirklich erstrebenswerter Job mehr war. So gab es bald auch immer weniger Bewerber auf diese früher einmal sehr begehrten Stellen. Die Schulen im Lande waren an einem erbärmlichen Punkt angekommen: Jammernde Lehrer, jammernde Direktoren, aufgebrachte Eltern und ein kopfloses Ministerium, das keinen wirklichen Plan besaß.
Zu der Zeit tauchte in Stuttgart ein junges Start-Up namens Third Space im Kulturministerium auf und versprach Abhilfe. „Die Administration an den Schulen ist überlastet. Die Lehrer sind überlastet. Wir würden den Schulbetrieb komplett entlasten, wenn Sie uns das einmal machen lassen würden. Wie wäre es mit einer Versuchsschule?“ meinten die jungen Innovativen. „Wir machen all das professionell für die Schule, was in den letzten 20 Jahren auf das Lehrpersonal und die Administration hinzugekommen ist, ohne dafür Entlastung zu bekommen. Sie haben sogar noch die Deputatsstunden erhöht. „Die Kultusministerin, die von überall her den Gegenwind zur bisherigen Bildungspolitik spürte, nickte und meinte: „Also gut, versuchen Sie an einer Schule Ihrer Wahl Ihr Glück. Sie bekommen ein Gehalt wie ein Nebenlehrer, haben allerdings auch nur einen Jahresvertrag bis zu den Sommerferien.“
So kam es, dass die Lehrer des Heisenberg-Gymnasiums in Stuttgart ihr Glück kaum fassen konnten, als sich die drei Mitarbeiterinnen und die zwei Mitarbeiter in der ersten Gesamtlehrerkonferenz mit ihrem Konzept vorstellten. „Entlastung,“ jubelten sie. „Endlich echte Entlastung. Da können wir uns wieder richtig auf das Unterrichten konzentrieren. Was für ein Luxus.“ Die Mitarbeiter/innen von Third Space hatten ihr Arbeitsfeld vorgestellt und die Schule war begeistert. „Natürlich betreuen wir jetzt Ihr Computernetz ebenso wie die Lehrer- und Schülerbibliothek. Wir kümmern uns um die Organisation und Planung der Elternabende ebenso wie die Koordination der Ganztagesbetreuung. Wir machen für die Direktion die zeitaufwändigen Schülerstatistiken genauso wie die Bauleitung für die anstehende Renovierung des Biologie-Trakts. Wir betreuen die naturwissenschaftlichen Sammlungen ebenso wie die Materialräume der Gesellschaftwissenschaften. Und natürlich schaffen wir die Voraussetzungen für die Fremdevaluation im zweiten Halbjahr. Und wenn Sie weitere Aufgabenfelder für uns haben, dann melden Sie sich einfach. Wir haben unsere Zelte in den Räumen neben der Direktion aufgeschlagen.“ Die Konferenz ging mit tosendem Applaus zu Ende.
Die Begeisterung hielt auch im ersten halben Jahr komplett an, denn Third Space entpuppte sich als ein junges hocheffizientes Team von agil arbeitenden Spezialisten, die beruflich aus den unterschiedlichsten Bereichen kamen und sich sehr schnell und tief in die Anforderungen des Heisenberg-Gymnasiums einarbeiten konnten. Die Schule atmete sichtlich auf. Die Stimmung im Lehrerzimmer war nicht wiederzuerkennen. Und das Wichtigste: Die Schüler hatten manchmal das Gefühl, an eine ganz andere Schule gewechselt zu haben, so entspannt war plötzlich die Lage an ihrer Schule. Denn natürlich hatte Third Space auch die Koordination de Schüleraustausche übernommen und betreute den stark wachsenden außerunterrichtlichen Bereich, was das Schulklima spürbar positiv beeinflusste. Die Third Space Mitarbeiter waren ebenso fachkompetent wie auch verwaltungskompetent. „Third Space ist ein heftiger Schub in die Zukunft“ ließ Direktor Müller gerne in seinen Reden verlauten. Third Space war in aller Munde und auch einige Manager von Daimler, die ihre Kinder auf’s Heisenberg schickten, schwärmten im Konzern von den Zauberern des jungen Start Ups.
Im zweiten Halbjahr tauchten die ersten kleinen Irritationen auf. „Was hat der mir denn zu sagen?“ entrüstete sich Frau Meyer-Todde, eine Mathelehrerin, die für ihre Strenge, aber nicht für erfolgreichen Unterricht bekannt war. Ich mache diesen Job nun schon seit 20 Jahren und dieser junge Schnösel meint, er könne mir das Wasser reichen. Frank Paulsen von Third Space hatte sie gebeten, ein Selbstevaluationsblatt in ihrer 7. Klasse ausfüllen zu lassen, weil die Klasse mit Frau Meyer-Todde ihre Schwierigkeiten hatte und er zusammen mit ihr gerne der Ursache auf den Grund gegangen wäre. „Ich werde nach A13 bezahlt, er nach A9. Das sagt doch schon alles.“ meinte sie zu ihrer Sitznachbarin im Lehrerzimmer. „Er hatte selbst in Mathe nur unterdurchschnittliche Schulnoten, hat er mir dazuhin noch erzählt.“ Solche Geschichten machten immer mehr die Runde, je näher die Fremdevaluation kam, bei der Direktor Müller den Fachunterricht in den Fokus der Untersuchungen gerückt hatte. Und wie das mit solchen Geschichten eben ist, die Akzeptanz von Third Space nahm ab, je weiter die Mitarbeiter des Start-Ups sich um den Unterricht der Kollegen im Rahmen der Evaluation kümmern mussten.
In der Anfangskonferenz des nächsten Schuljahres musste Direktor Müller seinem Kollegium eine traurige Mitteilung machen. Da sich Third Space am Ende des letzten Schuljahres am Heisenberg Gymnasium nicht mehr wirklich wohl gefühlt habe und der Vertrag nur befristet war, hätten sie das Angebot von Daimler nicht ausschlagen können, für das doppelte Gehalt in Festanstellung nun einen Third Space für den Konzern aufzubauen. Denn auch wenn im letzten Schuljahr sich am Ende viele über die Arbeit als Einmischung bei ihm beschwert hätten, die Auswirkungen dieses einen Jahres mit dem Start-Up wäre in den Ergebnissen der Fremdevaluation und auch in den Notenschnitten des letzten Schuljahres zweifelsfrei zu erkennen.
So kam es, dass das Heisenberg Gymnasium wieder in dieselben Klagen und dasselbe Jammern einstimmen musste, was man von all den anderen Schulen ja gewohnt war.
Ach kommen Sie, Frau Kultusministerin, träumen wird man ja noch dürfen. Ihr Otto Kraz