Kapitel 35 - Pupils on demand und mehr

35 Pupils on demand und mehr

Wir sind schon tief eingedrungen in die zukünftige Praxis einer entwicklungsorientierten Schule, in der Schüler.innen (und damit auch Lehrer:innen) eine ganz eigene Rolle eingenommen haben. Denn es geht ganz viel um diese Metaebene, über die wir im letzten Kapitel gesprochen haben. Entwicklungsorientierte Schule ist eine hochmotivierende und aktive Schule, die am Ende nur noch wenig mit der heutigen Schule zu tun hat. Speziell wenn dann Chattie&Co mitmischen werden. Und das wird so kommen. Also das mir Chattie&Co. Ich hoffe auch das mit der entwicklungsorientierten Schule. Denn nur so können wir mit unseren europäischen Werten weltwirtschaftlich punkten. Weil entwicklungsorientierte Schule nicht auf maximalen Schulabschluss bei minimalem Aufwand setzt, sondern auf maximalen Einsatz, um dann erst zu sehen, wohin die eigene Reise geht. 

In einer entwicklungsorientierten Schule wird sowieso viel gefordert werden und kann damit auch viel fordern. Viel fordern und sich selbst fordern ist die neue Ansage. Ich behaupte allerdings, dass Schüler:innen dann nicht mehr behaupten, Schule wäre stressig. Denn die Natur hat uns eigentlich darauf angelegt, viel dafür zu geben, dass wir gut leben. Entwicklungsorientierte Schule setzt genau da an. Viel für das gute Leben zu geben. 

An einer Schule wie der hier skizzierten wird ein klares „On Demand“ normal. Wenn es von jeder:m Schüler:in ein Fähigkeiten-Portefolio gibt, dann können die Planer des individualisierten Unterrichts zeigen, was sie drauf haben. Natürlich zusammen mit künstlichen Intelligenten wie Chattie. Jugendliche, die zwischen Lehrenden und Lernenden hin- und herswitchen, fühlen sich nicht mehr wie heutige Schüler:innen. Lehrer:innen switchen ja genauso wie sie - auch sie sitzen oft als Lernende in Sachen neuer Technologie in Workshops, in denen ihre eigenen Schüler:innen ihre Lehrer:innen sind. Der Unterschied von Lehrenden und Lernenden verschwimmt … wie sich das am Ende anfühlen wird … ich weiß es nicht. Aber ich kann es mir vorstellen. Wahrscheinlich so wie damals, als wir als Nichtmusiklehrer ein semiprofessionelles Tonstudio am Faust-Gymnasium gebaut hatten, zusammen mit Schüler:innen, die später Profis wurden. Jan Stegemann war so einer. Im alten pädagischen Schweizermesser hat er es so beschrieben: S. 321 Kapitel 17 auf  https://www.aufeigenefaust.com/otto-kraz/otto-kraz-rueckblick/das-pädagogische-schweizermesser/ (Jan schaffe nach dem Abitur die Aufnahme an der Tontechnik-Hochschule von Paul Mc Cartney in Liverpool. Bei ihm habe ich schon viel gelernt, als er noch Achtklässler war.)

„… so und nun zum paedagogischen skript: was fuer mich an erster und wichtigster stelle steht, wenn ich an meine faustzeit und die erfahrungen dort zurueck denke, ist die aehnlichkeit zum leben nach der schule. spinnereien-ideen ausarbeiten – projekte ins leben rufen, koordinieren und teamwork und eigenverantwortliches arbeiten usw. das empfand ich alles als total normal, als ich vom faust wegging, obwohl das dach der schule und das ganze netzwerk weg war und ich mir ein neues netzwerk aufbauen musste, was aber auch automatisch irgendwie zustande kam. fuer das holprige leben (vor allem im musikbusiness) bin ich geruestet gewesen, als ich vom faust ging, auch wenn mir das damals nicht klar war.

... faust zu sein war die perfekte simulation ...

die frage, warum ich neben meinem studium noch in so viele andere dinge meine energie stecke, stellt sich mir nie. ich habe immer das gefuehl mehr rauszubekommen – das selbe gefuehl, das ich schon als mischer im fauststudio hatte, wenn ich zum 500. mal record gedrueckt habe und es 4 uhr morgens war (oder die letzte traverse von m.ortner‘s total ueberdimensionierter lichtanlage wieder abgebaut war :-) ).

das konzept faust/schuelerschule (oder wie auch immer man es nennen will) hat mir deutlich mehr gezeigt als teamwork, eigenstaendiges und zielstrebiges arbeiten.“ faust zu sein“ war die perfekte simulation/ vorbereitung fuer die arbeit im „professionellen business“ , auch wenn es mir erst in den letzten jahren bewusst geworden ist.

ich weiss nicht, was ich heute machen wuerde, haette ich nicht die chance gehabt, ein teil davon zu sein.

soo, nun habe ich mal versucht meine gedanken runterzuschreiben, auch wenn mir so eine sache immer (noch) schwer faellt. das ist aber wohl der zentrale gedanke, den ich zu diesem thema zu sagen habe. 

 

sowie seb geschrieben hat, dass das faust in einem steckt, steckt es auch in mir, mehr aber was ich davon mitgenommen habe und die art und weise, gedanken ueber zukunft, projekte und ziele zu machen. das ist sehr wertvoll und einzigartig fuer mich, weil es sich nicht nur auf studio – musik – audio bezieht, sondern eben auf mein leben. immer wieder reizen mich neue projekte, da ich weiss, dass es meinen horizont erweitern wird. das finde ich schon sehr „faust“.

als beispiel waere das:

meine mitarbeit bei einer medienagentur in liverpool als programmierer als livemischer mit bands auf tour zu arbeiten ein clubmusikprojekt mit einem freund zusammen, bei dem wir zusammen musik machen. das projekt hat als reines spass-projekt angefangen, inzwischen wurden wir fuer konzerte bis nach tokyo gebucht und ich konnte mir eine woche tokyo und ein bisschen japan anschauen.

Ja klar, natürlich drücken nicht immer solche Spezialspezialisten die Schulbänke, mit denenen man solch außergewöhnliche Projekte wie ein schuleigenes Tonstudio realisieren kann. Aber darum geht es ja auch nicht. Für mich ist das nur ein Beispiel, um das Gefühl zu beschreiben, das man als Lehrer und als Schüler empfindet, wenn man zusammenarbeitet. Auf Augenhöhe. In diese Richtung muss es gehen, wenn sich Schule erfolgreich für die Zukunft aufstellen will.

Und zwar von Anfang an. Die Motivation von Erstklässler:innen ist zu Beginn sehr, sehr hoch. Und die Bereitschaft, selbst viel für die eigene Bildung zu unternehmen, ist sensationell gut angelegt. Manche Grundschulen, die früh auf Eigenständigkeit, Lerntagebücher, agiles Lernen und Teamarbeit mit viel Lehrer:innenfeedback setzen, können ein Lied davon singen. Das Potenzial ist riesig, unabhängig von den Ausgangsbedingungrn für die einzelnen Schüler:innen. Meine Erfahrung aus vielen Erzählungen einzelner Grundschullehrer:innen: Auch Erstklässler:innen kann man locker als Lehrassistent:innen einsetzen. Dieses WinWin geht von Anfang an. Was dafür notwendig wäre, ist eben einerseits ein Paradigmenwechsel der Blickwinkel auf Schule und Schüler:innen. Und eine andere Lösung, wie man den Übergang zur weiterführenden Schule vollzieht. Die Situation, dass heute manchmal schon 3/4 einer Grundschulklasse auf‘s Gymnasium gehen, müsste doch eigentlich zulassen können, dieses Auswahlsystem über Noten radikal zu überdenken. Denn es ist doch logisch: Je mehr jungen Menschen auf die neue Hauptschule Gymnasium zusteuern, desto mehr Eltern setzen natürlichweise auf das althergebrachte Büffeln, dass das eigene Kind auch ja den Sprung auf’s Gymi schafft. Das geht momentan nur über Fachnoten und damit nicht über Kompetenzen wie Teamfähigkeit, Eigenständigkeit und Einsatzwillen. Ich habe einige Jahre lang für meine Fünftklässler:innen ein Biss-Zeugnis zusätzlich zu den üblichen Zeugnissen erstellt und später mit den Abitursnoten verglichen. Und sieh da: Es waren nicht die Fachnoten, sondern die Biss-Noten, die eine hohe Korrelation mit dem Abitursdurchschnitt hatten. Da ist einfach riesig viel Luft im System. Und noch einmal: Auch Grundschüler:innen tragen einen riesigen Wissenschweif hinter sich her und bisher sind es nur einzelne Kolleg:innen, die ihn selbst für ihren Unterricht nutzen … bis dann der Run auf‘s Gymi keine Zeit mehr dafür lässt.