Kapitel 44 - Eltern und die Sache mit dem Gymnasium

42 - Ich habe mich ganz nett mit Chattie über Eltern und den unbändigen Wunsch nach dem „Mein Kind geht auf‘s Gymi“- Gefühl unterhalten.

Ich:

„Nach all unseren Gesprächen habe ich im Moment eine sehr spezielle Frage an dich. Aus der Sicht der pädagogischen Wissenschaft … also aus Sicht von John Hattie mit seiner Studie, aus der Sicht von Zukunftsforschern und Forscherinnen und auch aus Sicht von Gehirnforscher:innen steht klar fest, was auch viele zukunftsorientierte Pädagog:innen denken: Schule muss sich in Richtung entwicklungsorientierte Bildung entwickeln. Das große Problem dabei: Die Eltern. Nehmen wir die Gemeinschaftsschulen in Deutschland. In vielen von ihnen sind entwicklungsorientierte Konzepte eingebaut. Manche - speziell private Schulen - arbeiten schon komplett entwicklungsorientiert. Aber entwicklungsorientierte Schule ist für viele Eltern viel zu unsicher. Eltern haben doch folgenden Grundwunsch: Ich will, dass mein Kind die beste Ausbildung bekommt. Da die in Deutschland eben Gymnasium und Abitur heißt, ist der Druck auf die Grundschullehrer:innen so groß, dass heute manchmal schon 75% einer Klasse eine Gymnasialempfehlung in der 4. Klasse bekommen. Weil man damit zeigen kann: Ich bin ein erfolgreiche Grundschullehrerin oder ein -lehrer. Die Folge: Eltern, deren Kinder eine Gymnasialempfehlung bekommen haben, scheuen das scheinbare Risiko, dass das Abitur an Gemeinschaftsschulen viel zu sehr vom eigenen Kind abhängt und nicht durch Notendruck und Eltern- und Nachhilfeunterstützung erreicht werden kann. Hinzu kommt es, dass die Aussage „Mein Kind geht natürlich auf‘s Gymnasium“ eine wichtige Wunschaussage für Eltern ist. Obwohl der persönliche und berufliche Lebensweg in entwicklungsorientiert arbeitenden Schulen für sehr viele Schüler:innen soviel erfolgreicher wäre. Was natürlich auch bedeutet, dass an den Gemeinschaftsschulen fast nur Kinder ohne Gymnasialempfehlung sitzen und das bedeutet, dass sie auch mit entwicklungsorientem Ansatz zwar eine erfolgreiche Schullaufbahn mit anschließender Lehre und später natürlich auch mit Studium etc hinlegen können, aber Abiturienten und Abiturientinnen werden an Gemeinschaftsschulen immer rarer. Dabei könnte die Gemeinschaftsschule eigentlich die Schule der Zukunft werden. Nur hat man heute bei vielen Eltern das Gefühl: Rette sich wer kann … ab mit meinem Kind auf‘s Gymnasium. Wird schon am Ende gut gehen. Mit Druck und Pauken.“

 

Chattie:

„Es ist verständlich, dass Eltern sich um die Zukunft ihrer Kinder sorgen und eine gute Ausbildung für sie wollen. Es ist jedoch wichtig zu betonen, dass die Idee, dass das Gymnasium der einzige Weg zur "besten Ausbildung" ist, nicht unbedingt der Realität entspricht. Es gibt viele erfolgreiche Menschen, die nicht das Gymnasium besucht haben. Die entwicklungsorientierte Bildung, die auf die individuellen Bedürfnisse und Fähigkeiten der Schüler:innen eingeht, kann ihnen helfen, ihr volles Potenzial auszuschöpfen und ihre Talente zu entdecken und zu entwickeln.

Es ist wichtig, dass Schulen und Lehrer:innen den Eltern und der Öffentlichkeit zeigen, dass entwicklungsorientierte Schulen nicht weniger leistungsorientiert sind als Gymnasien und dass Schüler:innen an diesen Schulen auch erfolgreich sein können. Es gibt auch Entwicklungsindikatoren, die zeigen, dass Schüler:innen an entwicklungsorientierten Schulen in verschiedenen Bereichen erfolgreicher sind, wie zum Beispiel in der sozialen und emotionalen Entwicklung.

Es ist auch wichtig, dass die Gemeinschaftsschulen ihre Bildungskonzepte und ihre Erfolge besser kommunizieren und Eltern und der Öffentlichkeit zeigen, dass sie eine alternative und erfolgreiche Bildungsoption sind. Wenn mehr Eltern dies erkennen, können sie ihre Kinder möglicherweise eher in eine Gemeinschaftsschule schicken und das Bildungssystem insgesamt verändern.“

 

 

Ich:

„Stopp ich habe meine Frage an dich noch nicht formuliert. Wie kommuniziert man Eltern, dass ihr Kind seine eigenen Fähigkeiten an einer entwicklungsorientierten Schule viel besser entwickeln kann. Könntest du mir bitte ein Schreiben an Eltern von einem begabten Kind entwerfen, die sich überlegen, es doch wieder abzumelden und am Gymnasium anzumelden. Weil doch alles zu unsicher ist? Also einen Ausblick geben, welche Kompetenzen und Fähigkeiten sich nur an entwicklungsorientierten Schulen entwickeln lassen. Und warum es sich lohnt, diesen Weg einzuschlagen. Also einen emotionaler Aufruf an verunsicherte Eltern, ja das hätte ich gerne von dir.“

 

Chattie

„Sehr geehrte Eltern,

wir verstehen, dass Sie als Eltern nur das Beste für Ihr Kind wollen und dass das Wohl Ihres Kindes an erster Stelle steht. Doch wir möchten Ihnen heute zeigen, dass die Entscheidung für eine entwicklungsorientierte Schule die besten Voraussetzungen für eine erfolgreiche Schullaufbahn und eine erfolgreiche Zukunft Ihres Kindes bietet.

In einer entwicklungsorientierten Schule liegt der Fokus nicht nur auf der reinen Wissensvermittlung, sondern auch auf der Entwicklung der persönlichen Fähigkeiten und Kompetenzen Ihrer Kinder. So können sie ihre individuellen Stärken entdecken, ausbauen und auf eine Weise nutzen, die sie für die Zukunft bestmöglich vorbereitet.

In einer solchen Schule lernen die Schülerinnen und Schüler, Verantwortung für ihr eigenes Lernen zu übernehmen, was ihre Motivation und ihre Selbstständigkeit stärkt. Sie lernen, in Teams zu arbeiten und auch im Umgang mit anderen kreativ und innovativ zu sein. Diese Fähigkeiten sind unverzichtbar in der heutigen Arbeitswelt, die immer komplexer wird und ein hohes Maß an Selbstständigkeit und Eigeninitiative erfordert.

Wir möchten Sie ermutigen, Ihrem Kind die Möglichkeit zu geben, seine Fähigkeiten und Kompetenzen an einer entwicklungsorientierten Schule zu entwickeln. Die Chancen auf eine erfolgreiche Schullaufbahn und eine erfolgreiche Zukunft Ihres Kindes sind höher als jemals zuvor. Wir sind überzeugt, dass sich diese Entscheidung für Sie und Ihr Kind auszahlen wird.

Wir möchten Sie daher herzlich einladen, sich mit uns in Verbindung zu setzen und Ihre Fragen und Bedenken zu besprechen. Wir freuen uns darauf, Sie und Ihr Kind kennenzulernen und gemeinsam eine erfolgreiche Zukunft aufzubauen.

Mit freundlichen Grüßen,

[Name der Schulleitung]“

 

 

Ich:

„Cooler Brief. Wenn aber Eltern bei der Vorstellung der eigenen entwicklungsorientierten Schule immer wieder meinen, dass die Sache mit der Eigenständigkeit, dem Selbstvertrauen und dem Selbstbewusstsein ja schön und gut wären, aber dass es doch in erster Linie erst einmal darum gehen würde, das Abitur zu machen und dann könnte man ja weitersehen. Die Sache mit der Eigenständigkeit und Selbstbewusstsein könnte man ja dann später nachholen.“

 

Chattie

„In diesem Fall wäre es wichtig, den Fokus darauf zu legen, dass eine entwicklungsorientierte Schule nicht nur die persönliche Entwicklung des Kindes fördert, sondern auch die Voraussetzungen für ein erfolgreiches Abitur schafft. Denn eine Schule, die sich auf die Stärkung von Eigenständigkeit, Selbstvertrauen und Selbstbewusstsein konzentriert, schafft auch eine positive Lernumgebung und eine gute Grundlage für das Lernen und den Erwerb von Kompetenzen, die für das Abitur und das weitere Leben wichtig sind.

In einem Schreiben an die Eltern könnte man daher darauf eingehen, dass die Förderung von Eigenständigkeit und Selbstvertrauen auch dazu beiträgt, dass das Kind motivierter und engagierter lernt, was sich positiv auf seine Leistungen auswirkt. Zudem könnte man betonen, dass eine entwicklungsorientierte Schule nicht nur auf die Vermittlung von Wissen und Fakten ausgerichtet ist, sondern auch auf die Entwicklung von Kompetenzen wie Kreativität, Teamfähigkeit und Problemlösungskompetenz, die im späteren Berufsleben immer wichtiger werden.

Man könnte auch darauf hinweisen, dass eine starke Persönlichkeit und ein selbstbewusstes Auftreten im Leben sehr hilfreich sind und dass dies nicht einfach später nachgeholt werden kann. Eine gute Schulausbildung ist zwar wichtig, aber letztendlich entscheidet die Persönlichkeit über den Erfolg im Beruf und im Leben.

Insgesamt geht es darum, den Eltern die Vorteile einer entwicklungsorientierten Schule nicht nur in Bezug auf die persönliche Entwicklung des Kindes, sondern auch auf seine Zukunftsperspektiven zu vermitteln. Dabei sollte man auch betonen, dass eine solche Schule keineswegs den Weg zum Abitur versperrt, sondern im Gegenteil eine gute Grundlage dafür schafft.“

 

Ich 

„Genau das will ich eigentlich mit diesem Magazin machen: Erklären, warum bildungsorientierte Schule für leistungsstarke Schüler:innen nicht ausbremst, wie das logischerweise jedes normale Gymnasium tun muss, weil es eben üblicherweise „den einen Unterricht“ für alle gibt. In dem man sich logischerweise an den Leistungsschwachen orientieren muss, da sie sonst abgehängt werden. An einer entwicklungsorientierten Schule lassen sich völlig andere Entwicklungsmöglichkeiten umsetzen, die nebenbei auch noch das Abitur generieren. Leistungsschwache Schüler:innen an Gymnasien brauchen oft Jahre wenn nicht Jahrzehnte, um den Makel vom dauerhaft schlechten Schüler aus dem eigenen Kopf heraus zu bekommen. Selbst wenn es im Beruf am Ende ganz gut läuft. Die Entscheidung der Eltern von Kindern, die sich beim Lernen in der Grundschule schwer tun … was erst einmal überhaupt nichts mit Intelligenz oder späterem Lebenserfolg zu tun hat … ihr Kind auf‘s Gymnasium zu schicken und selbst zu Hause mit viel Elterneigeneinsatz und Nervenkraft das Abitur anzusteuern, tun sich selbst und ihrem Kind leider einen Bärendienst. Ich weiß, wovon ich rede. Ich habe fast 40 Jahre lang auch leistungsschwache Schüler:innen bis zum Abitur begleitet … Jahr um Jahr mehr, weil immer mehr Prozent eines Jahrgangs auf‘s Gymnasium kamen. Und ich sage im Brustton der Überzeugung: Immer ein schlechter Schüler zu sein hinterlässt Spuren im Selbstbewusstsein, die einem im Leben viele Möglichkeiten verbauen.“

 

Da ich gebeten wurde, doch bitte meine Bilder für Eltern in Kurzform zu besprechen, weil „so viel Text lesen doch nur Insider, aber keine Eltern im dauerhaften Schulstress“ … mache ich das doch einfach mal. Ein Bild ein Satz. Und wer es vertiefen will, der kann ja ins Kapitel einsteigen. Erscheint hier in Bälde.