SchüLehr:innenschule oder Die Sache mit der Gewohnheitsschule

Man weiß schon längere Zeit, dass die übliche Gewohnheitsschule nicht mehr zur aktuellen Welt passt.

Unsere Welt benötigt Menschen, die es gelernt habe, sich aktiv den verschiedensten Herausforderungen zu stellen und ihre Fähigkeiten dafür erfolgreich einsetzen zu können.

Unsere Welt braucht Leute, die ihre Fähigkeiten kennen, um zusammen mit den Fähigkeiten anderer im Team erfolgreich Dinge auf den Weg bringen zu können.

Die Gewohnheitsschule mit dem Lehrenden als dem Wissenden und dem Lernenden als dem Unwissenden ist überholt, weil das meiste Wissen inzwischen in der „Cloud“ steckt. Nicht aber das Wissen über das Umgehen mit dem Wissen in der Cloud. Dafür braucht es dringend die Lehrenden. Weltweit dominiert noch immer die Gewohnheitsschule, obwohl es schon lange viel erfolgreichere Konzepte gibt, die auch überall auf dem Planeten an einzelnen Schulen wie auf kleine Inseln existieren.

 

Die Lage ist wohl einfach der Gewohnheit geschuldet, die in der DNA aller Beteiligten liegt. Vielleicht ist es ja der epigenetischen Vererbung zu verdanken, dass sich Eltern, Lehrer:innen und Schüler:innen samt den zugehörigen Behörden nicht so einfach aus dieser Falle befreien können. Denn mit wem man spricht: EIGENTLICH wissen es doch alle, dass Gewohnheitsschule nicht mehr das Gelbe vom Ei sein kann. Denn klar: Gewohnheitsschule war ja früher vielleicht irgendwie logisch und super, aber früher ist ja nicht heute und früher war die Welt zwar nicht besser, aber auch noch lange nicht so hochkomplex wie heute. Doch die heute eigentlich notwendige Hochkomplexschule überfordert uns Menschen offensichtlich. Also sollten wir uns ihr über minimalinvasive Eingriffe sanft nähern, um sie am Ende zu genießen. 😎

Denn mal ehrlich: Würden wir alles Wissen darüber, wie Schule funktioniert, einmal komplett vergessen und sollten aus diesem Nichts für die heutige komplexe Welt eine Schule entwickeln, dann würde diese Schule doch nicht so aussehen wie die gewohnte Gewohnheitsschule.

 

 

Eine Hochkomplexschule muss im Gegensatz zur Gewohnheitsschule die Fähigkeiten von Lernenden und Lehrenden zu einem starken Bündel zusammenpacken und zwar zu einem gemeinsamen Bündel.

Unsere Fähigkeiten auspacken zu können, um neugierig Neues zu erforschen gehört zur Grundausstattung von uns Menschen (Selbstbestimmungstheorie der Motivation  - Deci&Ryan - 1. Kompetenz spüren) (Link). Schüler:innen sind normale Menschen, wollen also auch Kompetenz spüren.

Die Gewohnheitsschule versagt dabei, weil sie die Fähigkeiten der Lernenden ja nicht wirklich für den erfolgreichen Unterricht benötigt. Die Hattie Studie wurde viel zu oft salopp interpretiert als „Auf den Lehrer kommt es an“, aber die wenigsten haben gelesen, dass die höchste Effektstärke der kollektiven Selbstwirksamkeit zukommt und klar kommt es da auf die Lehrperson an, ob sie es schafft, die Lernenden so zu motivieren, dass sie als Gruppe die Rakete zünden können.

 

Eine weitere Grundvoraussetzung für eine starke Motivation des Menschen (Deci&Ryan) ist die soziale Einbindung. Das schafft die Gewohnheitsschule für die meisten Schüler:innen ganz großartig. Allerdings nur außerhalb des Unterrichts. Rückblickend schwärmen viele Menschen von der wundervollen Schulzeit, meinen dabei aber nicht die Zeit im Unterricht. Motivierte Lernende müssen aber auch mitten im Unterricht sozial eingebunden werden und nicht allermeistens als Einzel-Lerner:innen die Schulbank drücken. Ich übersetze einmal frei, was Hattie in der Zusammenfassung seines neu erschienenen Buches über die Studienergebnisse von 400 Millionen Schüler:innen, 2100 Meta-Analysen, 130.000 Studien und inzwischen 362 untersuchten Faktoren schreibt.

„Für Lehrer:innen besteht die Hauptaufgabe, ihren eigenen Unterricht mit den Augen der Schüler:innen zu sehen und den Schüler:innen beizubringen, ihre eigenen Lehrer:innen zu werden und in ihre eigene Bildung zu investieren.“ Würde Hattie das ins Deutsche übersetzen, würde sicher sagen: Die Hochkomplexschule ist eine SchüLehr:innenschule. :-)

 

Ein dritter Pfeiler für eine starke Motivation liegt nach Deci&Ryan und für jeden Menschen, der sich selbst einmal beobachtet, in der Autonomie des eigenen Handelns. Je mehr ich fremdbestimmt bin, desto weniger bin ich motiviert, mich zu verausgaben. Da Lernen und Schule aber richtig harte Arbeit ist, muss man sich als normaler Mensch verausgaben, um erfolgreich zu sein. Außer man ist normaler Mensch und schulischer Überflieger. Doch das sind die wenigsten. Klaus Zierer benennt es in „Visible Learning 2020: Zur Weiterentwicklung und Aktualität der Forschungen von John Hattie“ unter dem Punkt 3. Auch am Ende dieses Blogbeitrags.

 

Im erfolgreichen Hochkomplexschul-Unterricht sollten also für Schüler:innen Bedingungen geschaffen werden, die diese 3 Pfeiler der Motivation bedienen: Kompetenz spüren, Autonomie besitzen und soziale Einbindung genießen. Und das mitten im Unterricht und auch im gesamten Arbeitsumfeld Schule. Das ist die Aufgabenstellung.

 

Ich setze auf minimalinvasiven Eingriff. 

Dazu mehr im nächsten Beitrag.

Wird fortgesetzt.

 

 

 

 

 

 

 

„Aus Visible Learning 2020:

Zur Weiterentwicklung und Aktualität der Forschungen von John Hattie“ von Klaus Zierer:

 

In der Folge lassen sich aus „Visible Learning“ insbesondere zehn Haltungen, die das Handeln erfolgreicher Lehrpersonen bestimmen, ableiten (vgl. Hattie & Zierer, 2018):

1. Ich rede über Lernen, nicht über Lehren: Erfolgreiche Lehrpersonen reden über Lernen, nicht über Lehren und beginnen und enden ihre pädagogischen und didaktischen Überlegungen beim Lernenden. Sie berücksichtigen dabei das Vorwissen und die Vorerfahrungen der Lernenden und gestalten ihren Unterricht so, dass er auf diesen aufbauend eine größtmögliche Passung mit dem Lernstand der Lernenden bewirkt.

2. Ich setze die Herausforderung: Erfolgreiche Lehrpersonen setzen Heraus- forderungen und gestalten Lernprozesse weder zu leicht noch zu schwer. Das Ziel ist es, eine optimale Passung zwischen Vorwissen und Anforderungsniveau herzustellen und Lernen möglichst herausfordernd zu machen.

3. Ich sehe Lernen als harte Arbeit: Erfolgreiche Lehrpersonen sehen Lernen als harte Arbeit und ermöglichen vielfältige, regelmäßige und herausfordernde Phasen der Übung. Lernen soll nicht ausschließlich in die Hände der Lernenden verlagert werden. Vielmehr soll Unterricht Möglichkeiten eröffnen, um bewusst zu lernen.

4. Ich entwickle positive Beziehungen: Erfolgreiche Lehrpersonen sehen Unter- richt als Interaktion, die auf Wertschätzung beruht, und investieren insofern

in den Aufbau positiver Beziehungen. Besonders in einer Ganztagsschule ist

es daher wichtig, dass sich die Lehrpersonen um positive Interaktionen und Gespräche mit den Lernenden bemühen, die einen Großteil ihrer Zeit in der Schule verbringen.

5. Ich verwende Dialog anstelle von Monolog: Erfolgreiche Lehrpersonen sehen Unterricht nicht als Einbahnstraße, sondern als Dialog. Sie ermöglichen kooperatives Lernen und kennen vielfältige Methoden, um Klassengespräche gewinnbringend einzusetzen.

6. Ich informiere alle über die Sprache der Bildung: Erfolgreiche Lehrpersonen informieren Lernende und Eltern über die Sprache der Bildung. Jede Lehrperson ist ein Experte von Lernen und Lehren und weiß auch über die Besonderheiten einer Ganztagsschule Bescheid. Dieses Wissen gilt es zu teilen, so dass auch die Lernenden davon profitieren können.

7. Ich bin ein Veränderungsagent: Erfolgreiche Lehrpersonen sehen sich als Veränderungsagenten und setzen Methoden nicht um der Methoden willen ein, sondern immer vor dem Hintergrund der Lernsituation. Es gilt der Grundsatz, dass Medien und Methoden so eingesetzt werden, dass sie zur Zielerreichung optimal beitragen.

8. Ich bin ein Evaluator: Erfolgreiche Lehrpersonen geben und fordern Rückmeldung, weil Feedback für sie nicht nur ein wichtiges Instrument ist, son- dern eine Grunddimension von Unterricht ist. Sie geben und erhalten Feedback von den Lernenden, und reflektieren dieses zeitnah, um gegebenenfalls den Unterricht anpassen zu können.

9. Ich erachte Schülerleistungen als eine Rückmeldung für mich über mich:

Erfolgreiche Lehrpersonen sehen Schülerleistungen als Rückmeldung für sich und über sich und bringen sowohl den Lernerfolg als auch Fehler im Lernprozess immer in Verbindung mit ihrem Denken und Tun.

10. Ich kooperiere mit anderen Lehrpersonen: Erfolgreiche Lehrpersonen arbeiten zusammen. Sie streben nach einer gemeinsamen Vision von Bildung, sehen Schul- und Unterrichtsqualität als kollektive Aufgabe. Die Schritte der Umsetzung wer- den dafür gemeinsam definiert und immer wieder hinterfragt. Alle Formen von Evidenz dienen dabei als Diskussionsgrundlage.