Ukraine, Flucht und Schule

Entwicklungsorientierung statt Willkommensklassen

Ukrainische Schulkinder in Deutschland

Stark-Watzinger für »Willkommensklassen« nach dem Vorbild von 2015

(Spiegel-online 20.3.22)

 

„Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) hat »Willkommensklassen« nach dem Vorbild von 2015 angeregt, um junge Geflüchtete aus der Ukraine an deutschen Schulen zu unterrichten. »Wir können von den Erfahrungen von damals profitieren«, sagte sie »t-online«. Die Abläufe seien an vielen Schulen bereits bekannt... Sie gehe davon aus, dass mindestens ein Drittel der Geflüchteten unter 18 Jahre alt sei. »Wir müssen auf beides vorbereitet sein: dass viele Kinder und Jugendliche auf absehbare Zeit zurückkehren – aber auch darauf, dass sie länger hierbleiben«, sagte Stark-Watzinger.“

 

Auch Backe.

Höchste Zeit, Bildung wirklich ganz neu zu denken

 

Wie war das 2015 in Deutschland mit den Willkommensklassen? Ja klar. Wirklich sehr gut gemeint. Ich ging damals gerade in Pension und habe in einem kleinen Team Schüler:innen in einem Flüchtlingsheim unterstützt. Aber die Aussage: „Die Abläufe sind an vielen Schulen schon bekannt,“ als wäre es ja alles super einfach gelaufen, da muss ich doch sagen: Au Backe.

Nein, kein Lehrerbashing. Ich sags mal ganz ohne Schuldzuweisung:

Die aktuellen Rahmenbedingungen für Bildung in Deutschland sind einfach

nix für Krise!!!

Die sind was für eine stabile ruhige entspannte Welt, in der so ein Lehrplan auch mal 20 Jahre gelten darf. Und sorgfältige 10 Jahre Vorbereitung benötigt. Die Welt hat sich aber verändert. Das iPhone kam vor 15 Jahren auf den Markt. Das Virus vor 3 Jahren in die Welt. Der Überfall auf die Ukraine begann vor 3 Wochen.

Ich nenne unser wissensorientiertes Bildungssystem jetzt der Einfachheit halber mal Heinz (beliebter Jungenname nach dem Krieg), die zaghafte Kompetenzorientierung Stefanie und Stefan (Lieblingsnamen in den Siebzigern) und entwicklungsorientiertes Lernen und Lehren Emilia. (Top-Vorname 2021)

 

Heinz überlegt sich angesichts Hunderttausender geflohener ukrainischer Schulkinder, wie man diese in das bestehende System integrieren könnte und verzweifelt umgehend. Er will so gerne das Gesicht wahren, aber ihm ist eigentlich klar, dass er dafür einfach zu alt ist. Seine jahrzehntelange Erfahrung bringt ihm keine Vorteile. Im Gegenteil. Er würde für diese Aufgabe mindestens 4 Jahre Vorlauf brauchen. Aber er hat nie gelernt, anders zu denken. Und er ist immer noch der Chef.

Stefanie und Stefan sind auch ziemlich verwirrt. Kompetenzen fördern ist ja vielleicht im Moment nicht wirklich angesagt, meinen die Zwillinge und überlassen dem Chef die Planung.

Emilia hingegen denkt komplett anders. Sie ist ja noch jung. Sie kennt das klare Ziel und würde gerne umgehend loslegen. Emilia plant nie im Detail. Sie würde diejenigen vernetzen, die sich vernetzen lassen. Aber klar: Sie kann nur Vorschläge machen. Heinz ist der Chef.

Das Ziel für Emilia: Die Schulkinder sind jetzt hier und müssen jetzt in die Schule gehen. Und zwar in eine ukrainische Schule mit ukrainischem Lehrplan, (nicht in eine deutsche Willkommensklasse) denn sie werden ihr Land wieder aufbauen - wann genau ist ungewiss, aber sie werden es tun.

Und sie sollten es aufrecht und stark tun.

 

Die obere Visualisierung erzählt nur eine grobe Idee von Emilia. Es ist eine erste Skizze, aber so könnte man umgehend beginnen. Wäre nicht Heinz der Chef. :-)

Emilia meint natürlich auch, dass es gleichzeitig sinnvoll wäre, nebenher auch noch Deutsch zu lernen … man weiß ja nicht, wie lange alles dauern wird. Außerdem ist Mehrsprachigkeit immer eine starke Kompetenz. Aber Deutsch lernen wäre doch am besten bei Paten aus der Ecke aktiver Jugendlicher aufgehoben. Meint Emilia.

 

Gruß Heinz Bayer alias Otto Kraz.  - Team Weiterbildung an der Hochschule für agile Bildung in Zürich

 

p.s. Sprechende Unterrichtsmaterialien? Mehr dazu hier: 

 

 

Bei Table Media lese ich gerade (16.3.22) von Christian Füller

 

"Die Verwirrung war groß – und die Bewunderung über Ukraines digitale Lernportale noch größer. Auf Twitter hieß es, die Ukraine habe binnen zwei Wochen eine funktionierende Online-Schule auf den Weg gebracht. Manche behaupteten gar, es habe nur 24 Stunden gedauert. Das ist falsch. Richtig ist, dass es eine Online-Schule für die Klassen 5-11 gibt, die aus Lernressourcen und Video-Material besteht. Zudem existiert eine Sammlung von über 1200 digitalen Schulbüchern – die sofort online verfügbar sind. Damit ist die Ukraine der Bundesrepublik in der digitalen Bildung um einiges voraus. Richtig ist aber auch: ohne die Hilfe deutscher digitaler Stellen sind diese Ressourcen nicht rechtssicher nutzbar. Deswegen hat das Medieninstitut der Bundesländer jetzt die Ressourcen zum Teil gesichert, zum Teil bemüht es sich um rechtliche Klärung.“

 

Au Backe, ja, die Rechtssicherheit. Stimmt ja. Das hatte ich ganz vergessen.

„Ihr lieben ukrainischen Schulkinder. Sorry, das hatte ich ganz vergessen. Ihr seid uns zwar im Online-Lernen ziemlich weit voraus und könntet umgehend loslegen, wenn es nach Emilia ginge. Aber wisst ihr, es muss bei uns eben schon mit rechten Dingen zugehen.“

 

Au Backe. Es wird allerhöchste Zeit, Bildung neu zu denken. Entwicklungsorientiert zu denken.

 

Entwicklungsorientierung? Näheres hier. Beziehungsweise hier.