Kollaborative Improvisation in alten Gemäuern. Kapitel 1

 

"122 ist gleich 488 geteilt durch x hoch 2 . Löse auf nach x."

 

Die alten Gemäuer:

Der Lehrplan, die Klassenstufen nach Alter geordnet, die Noten, die Zeugnisse, die Abschlüsse.

 

Der kreativ gestaltbare Raum in den alten Gemäuern

Die kollaborative Improvisationsdidaktik - mit seinen Schüler/innen kleinschrittig mit dauerndem gegenseitigen Feedback ausprobieren, wie man gemeinsam zu einen vorgegebenen Ziel aus dem alten Gemäuer kommt, dem festgelegten Lehrplanziel.

 

Ich nehme einmal Weit im Winkl (vorletzter Blogbeitrag) als Zukunftswerkstatt und gehe in die Realisierungsphase: Was könnte ich morgen tun, wenn ich als Mathelehrer mitten im Gleichungsauflösen nach einer Unbekannten stecke?

 

Ich hänge es als ehemaliger Mathe-& Physiklehrer an einer kleinen konkreten Rechenaufgabe auf:  „122 ist gleich 488 geteilt durch x hoch 2 . Löse auf nach x.“ Eigentlich ganz simpel, wenn man bei der Erklärung des Mathelehrers gerade voll auf Empfang und nicht abgelenkt war. Aber wir schreiben Klasse 8. Tanz der Hormone, Umbau der Gehirnzellen. „122 ist gleich 488 geteilt durch x hoch 2“ ist da nicht wirklich relevant für das Gehirn. Obwohl das Ergebnis von 2 nicht kompliziert ist. Wenn man Pech hat, entsteht an dieser Stelle seiner Karriere als Mathematiker eine entscheidende Lücke. Die drei Jahre später bei den Aufgaben zur Gravitation dann nichtbegreifbare Spuren hinterlässt. F=Gamma mal Masse 1 mal Masse 2 geteilt durch Radius hoch zwei. So ziehen sich zwei Massen an. Eine übliche Aufgabe. Berechne den Anstand zweier Massen. Den Erdradius berechnen können, wenn man die Anziehungskraft auf 1 kg kennt (9,81 Newton) und die Erdmasse. (5,972 × 10^24 kg) An solche Aufgaben werden aus vielen eigentlich begabten Physikern, Klimaforschern und Weltrettern dann letztendlich doch Betriebs- und Volkswirte oder Juristen .... weil sie drei Jahre vorher in der 8. Klasse diese Lücke im Hirn produziert hatten und sich dann die schlechten Physiknoten mit dem üblichen „Physik blick ich überhaupt nicht“ abgetan haben. Anstatt zu erkennen: „122 ist gleich 488 geteilt durch x hoch 2“ hab ich damals wohl nicht kapiert, weil ich Liebeskummer hatte.

 

Jetzt spielen wir die Szene einmal in der Phase Corona-experimental durch. Der Bildungsplan sagt zu den zu erlangenden Kompetenzanforderungen: „Die Schüler/innen verstehen die Auflösung einer Gleichung nach einer Unbekannten.“ Nun stellen Sie sich einmal den pädagogischen Wahnsinn vor, der Lehrer würde sich nicht an die Tafel stellen, um vorzurechnen, wie man 122 ist gleich 488 geteilt durch x hoch 2 nach x auflösen kann, sondern er würde sagen, dass es doch z.B. eine Möglichkeit wäre, zu lernen, wie man die Aufgabe kapieren würde, sich das Video, das er verlinkt hätte, so lange anzugucken, bis man es verstanden hat. Weil es in der Klasse 11 wirklich wichtig wäre. Oder dass man selbst als Schüler/in nach Wegen suchen würde, um sich dann mit dem Lehrer abzustimmen. Oder dass man sich das im eigenen Schüler-Team (sorry, ich schreibe jetzt einfach Schüler, wenn ich natürlich Schüler/innen meine ... man möge mir verzeihen) von seinem Mathecoach aus der Klasse 9 erklären lassen könnte oder dass man das einfach im Buch mal nachlesen könnte oder oder ... auf alle Fälle sollte der gemeinsame Plan sein, dass am Ende der Geschichte 122 ist gleich 488 geteilt durch x hoch 2 für jeden verständlich wäre. Und jeder Schüler dauernd etwas zu tun hätte. Keinen Leerlauf. Natürlich wäre auch möglich, dass drei Teams von Schülern einen Vortrag ihres Lehrers zu 122 ist gleich 488 geteilt durch x hoch 2 hören wollen. Auch dann würden sie völlig anders aufpassen als üblich. Kollaborative Improvisation, um den Bildungsplan zu erfüllen, der da heißt „122 ist gleich 488 geteilt durch x hoch 2 kann der Schüler nach x auflösen“, ist eine komplette Umstellung des Lernens in der Schule ... innerhalb der alten Gemäuer. Kollaborative Improvisation ist ein Konzept, das stärkere Bildung ermöglicht ... trotz Corona ...

Statt heftiges Klagen würde das Konzept echte Zukunftsgefühle erzeugen.

Das Prinzip für Lehrende: Du gehst in die Klasse und du erzählst das Ziel des Bildungsplans ... altes Gemäuer, nix dran zu rütteln. 122 ist gleich 488 geteilt durch x hoch 2. Muss jeder nach x auflösen können. Dass man damit später ausrechnen können muss, wie groß die Erde ist, das könnte eine Erklärung sein, warum man 122 ist gleich 488 geteilt durch x hoch 2 überhaupt umstellen können sollte. Aber vielleicht entsteht der Drive auch aus einem einfachen Gespräch über das Leben an sich und das Lernen im Speziellen. Über die Herausforderungen der Zukunft. Darüber, dass man die Zukunft nur meistern kann, wenn man die Köpfe trainiert. Improvisation auch schon hier. Aber kollaborativ. Den Bildungsplan gemeinsam erkämpfen. Und dabei niemand zurücklassen.

Improvisieren bedeutet kleinschrittig sich vortasten, um sich dem Ziel 122 ist gleich 488 geteilt durch x hoch 2 effektiv zu nähern ... Fehler zuzulassen, dauernd Feedback einzubauen und sich eben auf alle zu verlassen. Lernende wie Lehrende. Gemeinsam. Es darf keinen Streber mehr geben und keinen schlechten Matheschüler. Allen muss klar sein, dass man sich heute in der Wissenschaft einig ist, dass es im System der Alterklassenstufen an den Schulen sein kann, dass ein späterer Spitzen-Ingenieur für Wasserstofftechnik nur deshalb schlechte Noten in Mathe schreibt, weil er komplexer denkt als die anderen und ihm deshalb nie die Zeit in den Klassenarbeiten reicht. Oder dass er (oder sie) in der mathematischen Gehirnentwicklung den langsameren Modus in der DNA hat ... und deshalb scheinbar Mathe nicht kann. Dabei ist es nur das Hamsterrad Schule, das diesen Eindruck erzeugt. Dafür kann er oder sie aber andere Dinge, die auch den aktuell schnelleren Matheblickern viel bringen können. Gemeinsam den Berg von 122 ist gleich 488 geteilt durch x hoch 2 zu besteigen ist WinWin pur. Für alle.

 

Übrigens ein großes aktuelles Plus auch in Noch-Coronazeiten ... weil man nicht die ganze Zeit die ganze Klasse in einem Raum versammelt hat. Da passen selbst Container für selbstständig arbeitende Gruppen dazu oder abgetrennte Gruppentische in den Gängen bei offenen Fenstern.

 

Fortsetzung folgt.

 

 

 

Folge 2 ... Flipped Classroom