Kapitel 30 - Behörden in höchster Not

30 Behörden in höchster Not - die Chancen des Paradigmenwechsels

Ich denke, mit der Veränderung von Schule gibt es erst dann echte Aussichten auf Erfolg, wenn man kurz davor ist, die Sache mit der Bildung an die Wand zu fahren. Erst dann kann sich die übliche Aussage an Schulen vom „Never change a running system“ radikal umwandeln. Schüler:innen mit ans Ruder zu lassen ist für normale Europäer:innen kaum denkbar. Aber logisch, wenn man sich die Welt von morgen betrachtet. Entweder komplett zurück auf Leistungsdruck und Disziplin oder Schülerschule 3.0. Das Letztere halte ich für viel erfolgreicher als Disziplin und Drill. Außerdem: Wenn Lehrer fehlen, wer soll dann auch den Drill übernehmen? 

Ich schreibe übrigens dieses Skript als Werbeschrift für das Konzept Schülerschule 3.0, mit dem in die Zukunft aufbrechende Schulen mit heftigem Personalmangel bei ihren Bildungsbehörden anklopfen können. Denn klar hat man auf höherer Bildungsbehördenebene sicher schon einmal von solchen verrückten Konzepten gehört, die Schüler:innen in den Mittelpunkt stellen. Obwohl z.B. im Vorwort zum Bildungsplan für Baden-Württembergs Gymnasien schon früh solche Dinge standen wie „Wie jeder Bildungsplan, so lebt auch dieser davon, dass Schülerinnen und Schüler in unseren Schulen ernst genommen werden – in ihrer Neugierde, ihren Talenten und auf ihrer Suche nach Identität und Orientierung. Bildung und Erziehung stehen daher in einem untrennbaren Zusammenhang.“ Dr. Annette Schavan 2004 - Und gerade Baden-Württemberg war sehr stolz darauf, dass die Kompetenzorientierung Einzug gehalten hat. Zumindest auf dem Papier.

Als erstes Land hat Baden-Württemberg 2004 seine Bildungspläne für die allgemein bildenden Schulen vollständig auf kompetenzorientierte Bildungspläne umgestellt. Diese wurden im Rahmen der Bildungsplanreform konsequent weiterentwickelt und die Kompetenzformulierungen wurden weiter präzisiert und differenziert.“ Bildungspläne 2016 Baden-Württemberg.

Wir an der Hochschule für agile Bildung sind der Überzeugung, dass nach Wissensorientierung und Kompetenzorientierung ein weiterer Paradigmenwechsel ansteht: Entwicklungsorientierung. Ich packe mal wieder Chattie mit ins Boot: „Wenn ich dir die Stichworte Wissensorientierung - Kompetenzorientierung - Entwicklungsorientierung zusammen mit Christof Arn und Jean-Paul Munsch von der Hochschule für agile Bildung in Zürich aufschreibe, was kannst du mir dazu sagen?“ - 

Die Stichworte Wissensorientierung, Kompetenzorientierung und Entwicklungsorientierung beschreiben unterschiedliche Schwerpunkte in der Bildung.

Die Wissensorientierung legt den Fokus auf das Vermitteln von Wissen und Fakten. Schülerinnen und Schüler sollen möglichst viele Informationen aufnehmen und sich Wissen aneignen, um dieses später im Beruf oder im Alltag anwenden zu können.

Die Kompetenzorientierung geht einen Schritt weiter und legt den Fokus auf die Vermittlung von Fähigkeiten und Fertigkeiten. Schülerinnen und Schüler sollen in der Lage sein, Probleme zu lösen und Aufgaben zu bewältigen. Dabei werden nicht nur fachliche Kompetenzen, sondern auch überfachliche Kompetenzen wie z.B. Teamfähigkeit oder Kreativität gefördert.

Die Entwicklungsorientierung stellt den Menschen als Individuum in den Mittelpunkt und legt den Fokus auf die Förderung der Persönlichkeitsentwicklung. Schülerinnen und Schüler sollen befähigt werden, sich selbstständig weiterzuentwickeln und ihr eigenes Leben selbstbestimmt zu gestalten. Dabei wird nicht nur auf Wissen und Kompetenzen, sondern auch auf die Entwicklung von Selbstreflexion, Selbstvertrauen und Selbstbewusstsein geachtet.

Christof Arn und Jean-Paul Munsch von der Hochschule für agile Bildung in Zürich setzen auf einen ganzheitlichen Ansatz und vereinen diese drei Orientierungen zu einem umfassenden Bildungskonzept. Dabei steht die individuelle Entwicklung der Schülerinnen und Schüler im Vordergrund und sie werden dazu ermutigt, ihre Stärken und Interessen zu entdecken und auszubauen.

 

„Alles klar, Chattie“ … Ich bin immer noch erstaunt, was unsere künstliche Intelligente immer wieder so ausspuckt. Was ich inzwischen zu ChatGPT bemerken kann: Wenn man weiß, was man sagen will und gegenliest, dann passt die Antwort sehr oft erstaunlich gut. 

Sollte sich zufällig jemand aus den oberen Bildungsbehörden bis hierhin durchgelesen haben, dann formuliere ich eine ganz große Bitte: Wagen Sie den Paradigmenwechsel in die Zukunft. Geben Sie Schulen, die Sie darum bitten, im Rahmen ihrer großzügig ausgelegten rechtlichen Möglichkeiten, die Freiheit, die sie benötigen, um Ihnen zu zeigen, was auch ohne zusätzliche Lehrer:innen, die es gerade einfach nicht gibt, trotzdem großartig funktionieren kann. Und wenn es dann mal wieder genügend Lehrer:innen gibt, weil man merkt, wie attraktiv der Lehrerberuf an entwicklungsorientierten Schulen geworden ist - umso besser.

 

Verehrte Damen und Herren von den Bildungsbehörden. Man muss Schulen weiterentwickeln, weil es zu wenig Personal gibt, die Welt sich rasend schnell dreht und künstliche Intelligenz alles auf den Kopf stellt. Schüler:innen sind dabei ein starkes zusätzliches Personal. Potenzial, das bisher fast nicht ausgeschöpft wird. Aus der Not eine Zukunftsperspektive entwickeln lassen, indem man als Behörde einfach an Schulen einmal Dinge zulassen kann, die nicht ins Schema passen. Sie könnten Bildungsgeschichte schreiben.